Heute jährt sich zum 95. Mal das Massaker von Hebron: Aufgestachelt von antisemitischer Propaganda und dem Gründervater des palästinensischen Nationalismus (und späterem Hitler-Protegé), Großmufti al-Husseini, wurde die Stadt im Westjordanland im Jahr 1929 ethnisch gesäubert. Im Osmanischen Reich war Hebron für Jahrhunderte ein Zentrum jüdischen Lebens in Palästina – nun wurden Hebrons Juden auf einen Schlag umgebracht oder vertrieben, ob nun Sephardi oder Ashkenazi, ob aus lange arabisierter Familie oder frisch aus Osteuropa migriert. Ein jüdisches Krankenhaus wurde geplündert, Synagogen wurden angegriffen und entweiht. In jüdisch bewohnten Vierteln zogen die Täter von Tür zu Tür, vergewaltigten Frauen und töteten auch Kleinkinder.
Nominell unter britischer Mandatsverwaltung, beschränkte sich die britische Präsenz vor Ort auf einen de facto machtlosen Polizeiversteher. Auszug aus dessen späterem Augenzeugenbericht: "On hearing screams in a room, I went up a sort of tunnel passage and saw an Arab in the act of cutting off a child's head with a sword. He had already hit him and was having another cut […]. Behind him was a Jewish woman smothered in blood with a man I recognized as a[n Arab] police constable named Issa Sheriff from Jaffa. He was standing over the woman with a dagger in his hand."[*] Insgesamt wurden 67 Juden ermordet, Hunderte weitere flohen oder wurden in den Folgetagen von der britischen Mandatsverwaltung zwangsevakuiert. Einige wurden von nicht-fanatisierten Arabern während des Massakers versteckt und beschützt.
Pogrome wie dieses waren nur der Prolog für die blutrünstige "arabische Revolte" der 1930er Jahre in Palästina, und beerdigten Hoffnungen auf ein friedliche Nebeneinander von Juden und Arabern in einer post-osmanischen Zukunft. So werden Teilungspläne wie der 1936er Vorschlag der Peel-Kommission verständlich: Ein künftiger "demokratischer" Staat Palästina mit arabischer Mehrheit und jüdischer Minderheit war angesichts solcher Erfahrungen nur als Todesurteil für letztere vorstellbar. Ein weiteres Jahrzehnt Blutvergießen später kamen die Beobachter der Vereinten Nationen mit ihrem eigenen Teilungsplan, und die UN-Generalversammlung mit Resolution 181 zum selben Schluss: Sowohl aus humanitären Schutz-Ansprüchen, aber auch im UN-Geiste fürs "Selbstbestimmungsrecht" beider "Völker" in der Region, führte kein Weg an einer Zwei-Staaten-Lösung vorbei. Sowohl '36 wie '47 akzeptierten dies die Zionisten, und lehnten es die arabischen Nationalisten empört ab: keinen Quadratmeter den Juden, das ganze Land war stets arabisch und solle es immer sein (Todesstrafe jedem der seinen Acker an Juden verkauft), lieber Krieg als irgendein Kompromiss mit den Zionisten.
Und so begann 1947 als Reaktion auf den verhassten UN-Entscheid eine arabische Terror-Kampagne auf den Gebieten, die die UN den Zionisten zuerkannt hatte – und die Gegenwehr der Haganah, also der militärischen Kräfte, die die Juden Palästinas seit Erfahrungen wie Hebron '29 zum Selbstschutz organisiert hatten, und die nun bald zur IDF umformiert würden. Israel war noch nicht offiziell gegründet, da brannte das ganze Gebiet bereits im Bürgerkrieg (während die Briten, der Situation schon lange überdrüssig, nur noch um den eigenen Abzug bemüht waren), mit bald grausigen Massakern auf beiden Seiten (z.B. israelischer Milizen an Arabern im Dorf Deir Yassin). Als '48 Israels Staatsgründung offiziell ausgerufen wurde, folgte die Invasion der arabischen Nachbarstaaten – offiziell gegen die Zionisten, de facto aber zur Einverleibung von Gebieten wie Gaza und Westjordanland (die die UN noch einem künftigen Palästinenser-Staat zuerkannt hatte, und die nun Teil von Ägypten bzw. dem Königreich Jordanien wurden). Dies sind die Kriegsbewegungen, die man im Hinterkopf haben muss zum Verständnis dessen, was der palästinensische Nationalismus die "Nakba" nennt (und meist als einseitige Aggression Israels porträtiert).
So blieb Palästina als eigenständiger Staat lange eine sehr abstrakte Idee – sabotiert vom Boykott der Palästinenser selbst gegenüber allen Vorschlägen, die weniger zuerkannten als das Ganze unter notwendiger Negation Israels; entleibt von den arabischen Nachbarstaaten, die sich 1948 seine potentiellen Gebiete unter den Nagel rissen; und zuletzt blockiert von Israelis, die nach hundert Jahren der Erfahrung mörderischen Hasses ihnen gegenüber durch den palästinensischen Nationalismus diesem keinen Fußbreit gewähren möchten. Dass die Idee von Palästina als eigenständigem Staat so sehr Abstraktion geblieben ist, macht es freilich auch leichter, in Revoluzzer-Romantik "globalize the Intifada" und "from the River to the Sea" zu brüllen, statt über realistische Lösungsansätze nachzudenken und Friedensarbeit zu betreiben: Die arabischen Nachbarstaaten haben unter Jahrzehnten des Miteinander-Auskommen-Müssens ihr Verhältnis zu Israel immer weiter abmildern (oder sogar, wofür sie viele palästinensische Natioanlisten abgrundtief hassen, zur Freundschaftlichkeit aufbessern) müssen, was man sich aber sparen kann, wenn man mangels realem Staat keine Realpolitik machen muss.
Wie dem auch sei, um zum Anfang zurück zu kommen: Wer zum 7. Oktober 2023 meinte, man dürfe das Ereignis nicht isoliert betrachten, sondern die 75 Jahre davor mit einrechnen – der hatte damit strenggenommen recht, hätte den Scope aber auch noch weiter aufdrehen können. Schon vor 95 Jahren gab es solche palästinensischen Pogrome an Juden, lange vor Netanyahu, lange vor '67, lange vor der "Nakba". Sie waren dafür gar nicht nötig.
[*] https://en.wikipedia.org/wiki/1929_Hebron_massacre#Account_of_Raymond_Cafferata